Der Vogel
und der blinde Mann
von Polly Gwinn, 28. Oktober 2007
Übersetzung Birgit Barandica Eichberger
West Texas ist bekannt für seine urplötzlich lostobenden Sturmböen, die scheinbar aus dem Nichts auftauchen und mitten in der Nacht riesige Verwüstungen bewirken. Diese kurzlebigen Stürme hinterlassen überall abgerissene Äste, Blätter und zusammengewirbelten Müll. Eines schönen Frühlingsmorgens nach so einem nächtlichen "Besucher", fand ich zwischen all dem Schutt in meinem Garten etwas, das wie ein kaputtes Vogelnest aussah. Dann bemerkte ich, wie Mamavogel im Sturzflug heruntergefolgen kam und einen Jungvogel fütterte, der in dem am Boden liegenden Nest festsaß. Ich fuhr erst mit den Aufräumarbeiten fort und versuchte, das Bild des hilflosen Vögelchens aus meinem Gedächtnis zu verdrängen, aber das Mitgefühl (oder vielleicht war es auch mehr Neugierde) siegte doch letztendlich. Mir war klar, dass die treuen, aber unnützen Fütterungsversuche von Mamavogel nur einen "gemästeten Braten" für die streunenden Katzen bedeuteten, die hier überall auf der Lauer lagen. Nun, der Frust über das sichere Schicksal dieses kleinen Vögelchens übermannte mich und, kaschiert mit langen, gefütterten Handschuhen und bewaffnet mit einer alten Bratenzange versuchte ich, das Nest samt Vögelchen wieder im Baum zu verankern. Der kleine Kerl konnte zwar nicht fliegen, obwohl er ganz aufgeregt mit seinen kleinen Flügelchen flatterte, aber er hüpfte schneller weg, als ich ihn fassen konnte. In der Zwischenzeit waren Mamavogel und ein paar ihrer Freunde, vielleicht waren es die Tanten, nicht gewillt, den kleinen Nachwuchs kampflos aufzugeben. Sie verstanden nicht, dass ich der "Freund in der Not" war, sie kreischten und wirbelten mir um den Kopf, so nah, dass sie mich fast berührten. Geschickt wich ich ihren Sturzflügen aus, fing das kleine Küken ein, setzte es wieder in das Nest und packte beide, Nest und Vögelchen, in die unteren Zweige des Baums.
Wahrscheinlich gehst du jetzt davon aus, dass nach all dem wilden Gekreische und Geflattere der anderen Vögel nun Freude ausbrechen würde über die Rückkehr in die alte Ordnung (Lukas 15,7). Mit nichten! Man sollte meinen, sie wüssten instinktiv, dass der Kleine vor einem hungrigen Katzenmaul oder vor zermalmenden Autoreifen gerettet worden war und dankbar wären (Judas 22-23). Aber weit gefehlt! Ok, ich weiß, dass Vögel das nicht können, aber meinst du, sie wären einfach wieder ins Nest zurückgekehrt und hätten sich um das Kleine gekümmert? Alles andere als das! Der einmal bevölkerte Baum wurde von Freunden und Familie aufgegeben, außer dem kleinen um Hilfe oder einen Wurm pfiependen Vogeljungen. Er wurde gemieden, ignoriert, verlassen und war einsam, nur weil ein gutmeinender Außenseiter ihn BERÜHRT hatte.
Eine seltsame kleine Geschichte? Es gibt eine andere, ebenso seltsame Geschichte in Johannes 9,1-38. “Unterwegs sah Jesus einen Mann, der seit seiner Geburt blind war”. Jesus spuckte auf den Boden, vermischte es mit Sand und schmierte dem blinden Mann dieses Gemisch auf die Augen. Danach forderte Jesus ihn auf, zum Teich Siloah zu gehen und sich dort zu waschen, was der Mann auch tat und als er zurückkam, konnte er sehen. Der erste “Sturzflug” auf Jesus kam von Seinen eigenen Jüngern. Als sie den Blinden erstmalig sahen, löcherten sie Ihn mit Fragen darüber, wer denn gesündigt habe, der Mann oder dessen Eltern, sodass er erblindet sei. Jesus antwortete: “Er ist blind, weil an ihm die Macht Gottes sichtbar werden soll”. Gott wirkte durch Seinen Sohn und holte ihn aus der Dunkelheit heraus (Jesaja 61,1b). Man sollte meinen, dass die Verwandten oder wer auch sonst den Blinden bis dahin “ernährt und geleitet” hatte, sich darüber freuen würden, dass er sein Augenlicht zurückerhalten hat. Aber weit gefehlt! Sie fragten sich, ob er wirklich derselbe Mann sei; sie verlangten, dass er ihnen erzählte, wie er sein Augenlicht zurückerhalten habe. Da er ihnen zum Beweis nicht denjenigen präsentieren konnte, der ihn geheilt hatte und auch nicht beweisen konnte, dass es überhaupt so einen Mann gab, glaubten sie ihm nicht. Die Wunderheilung wurde zu einer heißen Debatte unter den Pharisäern. Einige behaupteten, dass Jesus nicht von Gott sei, da Er an einem Sabbat geheilt hatte (was gemöß ihres Gesetzes illegal war). Andere, die dem Wunder zwar glaubten, erklärten jedoch, dass ein Sünder ja niemals so etwas zustande bringen könne. So waren sie geteilter Meinung. Indem sie dem Mann, der ihnen sagte, dass er von Geburt auf blind gewesen war, nicht glaubten, zitierten sie dessen Eltern herbei (da sag mal einer was von eigensinnig...). Also, ich weiß nicht, wie du reagieren würdest, aber wenn mein Sohn von Geburt an blind gewesen wäre und auf einmal sehen könnte, dann wäre ich vor lauter Freudentränen "blind"! Aber hier war es alles andere als das! Aus Angst, von den Juden aus der Synagoge ausgeschlossen zu werden, wenn sie sagen würden, Jesus sei der Christus, überließen sie es ihrem Sohn, sich selbst zu verteidigen. Er hat nicht nur sich selbst und Jesus verteidigt, sondern gleichzeitig auf sarkastische Weise die gnadenlose Befragung der Pharisäer abblitzen lassen (Johannes 9,25-33). Sie waren empört und warfen ihn hinaus!
Ähnlich wie der kleine Vogel wurde er gemieden, verlassen, war allein - und das alles, weil ein gutmeinender Außenseiter ihn BERÜHRT hatte. Ah, aber was für eine Berührung! Sie war vom Erlöser selbst, hatte im Feuer nach dem blinden Mann gegriffen und ihn aus der Schlinge des Teufels befreit (2. Timotheus 2,26, Judas 23)! Jesus sagte, dass weder der Mann noch seine Eltern schuld an seiner Erblindung gewesen seien (Johannes 9,3), aber glaub ja nicht, dass der Teufel nicht so etwas benützen würde, wenn man es ihm gestattet. Schau dir nur die Aufregung an, die er unter den Pharisäern ausgelöst hat.
Ein paar Tage, nachdem ich Nest und Bewohner zurück in den Baum bugsiert hatte, schaute ich wieder nch dem Kleinen. Da saß er nun - sicher, aber immer noch allein und schaute müde aus. Nachdem Jesus gehört hatte, dass “sie ihn hinausgeworfen” hatten, fand er den jetzt sehenden Mann wieder. Er fragte ihn, ob er an den Sohn Gottes glaubte und erklärte ihm, dass Er der Heiler sei, der da vor ihm stand; der Mann glaubte Ihm und betete Ihn an (Johannes 9,35-38).
Ich werde wirklich nicht versuchen, dich davon zu überzeugen, dass der bemitleidenswerte kleine Vogel mich als seine “Retterin” erkannt und seine Flügelchen zu einem dankbaren Salut erhoben hätte; tatsächlich weiß ich nicht, was aus ihm wurde. Nachdem ich die Katzen nach selbstgefälligem Grinsen und Federn am Kinn untersucht und nichts Verdächtiges gefunden hatte, ging ich davon aus, dass der Kleine doch die Kraft gefunden hatte, wegzufliegen. Die wundervollste Parallele zu dieser Geschichte lesen wir ihn Jesaja 40,29-31: “Den Erschöpften gibt er neue Kraft, und die Schwachen macht er stark. Selbst junge Menschen ermüden und werden kraftlos, starke Männer stolpern und brechen zusammen. Aber alle, die ihre Hoffnung auf den Herrn setzen, bekommen neue Kraft. Sie sind wie Adler, denen mächtige Schwingen wachsen. Sie gehen und werden nicht müde, sie laufen und sind nicht erschöpft”. Ob du nun geistlich oder physisch erblindet bist - Jesus Christus wurde zu deiner Heilung geschickt (Jesaja 61,1-3). “Ich vertraue Gott. Es wird sich erfüllen, was er mir gesagt hat”, (Apostelgeschichte 27,25). Sei wie ein Beröer und lies diese Botschaft aufmerksam; überprüfe die Schrift und schau, ob es stimmt, was ich ich hier schreibe (Apostelgeschichte 17,11), damit du das Evangelium von Gottes Gnade verkündigen kannst (Apostelgeschichte 20,24).