Der Messiasboom
Ausgabe Januar '09 israel heute

"Wacht auf! Wacht auf, der Messias kommt!", rief der israelische Sänger Ariel Silber (im Bild) den Menschen zu. Mitte November blies er mit Freunden auf einer Tel Aviver Straßenkreuzung für das "Kommen des Messias" seine Trompete und das Schofarhorn.

"Wir wecken das Volk auf, um seinen Messias zu rufen. Wir sehnen uns nach dem Messias", erklärte Silber, der sich vor einigen Jahren dem religiösen

Judentum zuwandte. "Ohne Ihn wird uns nichts gelingen."

Die Passanten zeigten sich unbeeindruckt. Vielleicht waren sie nach einem langen Arbeitstag müde, oder sie hielten diese Messiasrufer nur für Sonderlinge. Ähnlich wie Yakov Damkani, der mit seinen Posaunenzügen in Tel Aviv Jeschua (Jesus) als den Messias verkündet. Eine Jüdin neben Silber, ihr Name ist Betty Schiffer, sagte, es sei ihre Pflicht, das Volk zur Umkehr zu bewegen. "Wir beten, dass sich der Messias endlich offenbart!" Neben ihr warnte ein weiterer Mann die vorbeigehenden Menschen vor der bevorstehenden Endzeit. "Israel ist in Gefahr! Schreckliche Kriege werden das Land heimsuchen! Schon bald wird Israel mit chemischen Waffen aus Syrien, Iran und dem Libanon angegriffen", tönte es aus seinem Megafon.

Silbers jüngster Messiasruf ist einer von vielen aus der Bevölkerung Israels heraus. Die jüdische Messiaserwartung gehört zum Alltag der israelischen Gesellschaft. Kürzlich hörte ich im Autoradio eine Sendung, in der die israelische Sängerin Din Din Aviv über ihre Musik, ihre Familie und ihren jüdischen Glauben an den Messias redete. Es scheint im Volk so etwas wie einen Messiasboom zu geben. Welcher Strömung im Judentum jemand auch angehört, das Messias-Erwartungsbarometer im jüdischen Volk steigt.

Ob durch private Kleinanzeigen in Tageszeitungen, großformatige Plakate oder Graffitis, säkulare Musiker, die auf einmal über ihre Sehnsucht nach dem Messias schreiben oder "Juden für Jesus", die im November auf den Straßen in Israels Nordstadt Kiriat Schmona die Wiederkunft des Messias verkündeten. Natürlich haben die letztgenannten Juden die Anti-Missions-Bewegung Yad Le Achim verärgert. Darüber berichtete Israels erster Fernsehkanal ausführlich und zeigte, wie orthodoxe Juden durch die Straßen fuhren und die Einwohner mit dem Megafon vor christlichen Missionaren warnten. "Juden, seid vorsichtig, Missionare wollen eure Seele!", schallte es aus den Lautsprechern.

Sobald der Name Jesus neben einer Messiasverkündung erscheint, bekommen viele einen roten Kopf. Wenn aber jemand sich selbst als Messias ausgibt, so stört sich kaum jemand daran. Wie im Oktober der umstrittene Heiler Oren Zarif im israelischen Rundfunk, der sich selbst schon oft als Messias Israels bezeichnet hat. Keiner regt sich deswegen auf.

Eine Umfrage in Internet (Ynet) ergab, dass 43% der jüdischen Bevölkerung Israels den Messias auf Erden erwarten. Innerhalb der religiösen Bevölkerung sin es 98%. "Wir leben in den Tagen des Messias," sagte mir neulich mein Freund Amnon, der in einer traditionellen Familie aufgewachsen ist. Ich sprach mit einem der Messiaswerber, die in zeitungsanzeigen auf das baldige Kommen des Messias hinweisen. "Hör mir gut zu, der Messias wird das Volk Israel schon 2009 oder aber 2010 führen," sagte mir Segal am Telefon. "Im Jahr 2015 steht der dritte Tempel in Jerusalem und im Jahr 2035 beginnt die Totenauferweckung." Am Telefon predigte der orthodoxe Jude weiter, wir sollten uns von den Rabbinern und Gelehrten nicht einschläfern lassen, denn das Kommen des Messias sei nahe.

Der jüdischen Glaubenslehre zufolge wird die Welt 6000 Jahre existieren, und gemäß jüdischem Kalender leben wir im Jahr 5769 (תשס"ט) nach Schöpfung der Welt. Die ersten 2000 Jahren waren ein Tohuwabohu, die folgenden 2000 Jahre waren die biblischen Thorajahre, die mit Abrahams Glauben an den einen Gott begonnen haben. Die letzten 2000 Jahre werden als die "Tage des Messias" bezeichnet, in denen wir heute leben und die in gut 200 Jahren zuende gehen. Orthodoxe wie messianische Juden stimmen in einer Hinsicht überein: Je mehr wir uns dieser Zeit nähern, desto spannender!

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