Indien:
Wie können sich Christen vor
Hindu-Gewalt schützen?

Evangelische Nachrichtenagentur idea, 07. Oktober 2008


Der Präsident des Gesamtindischen Christenrats in Orissa, Pran R.
Parichha: Polizei tut zu wenig.

W e t z l a r (idea) – Angesichts mangelnden staatlichen Schutzes überlegen Christen in Indien, wie sie sich selbst gegen brutale Angriffe hinduistischer Extremisten verteidigen können. Das berichtet der Präsident des Gesamtindischen Christenrates im hauptsächlich von der jüngsten Gewaltwelle betroffenen Bundesstaat Orissa, Pran R. Parichha (Cuttack).

Wie er am 6. Oktober bei einem Besuch der Evangelischen Nachrichtenagentur idea in Wetzlar betonte, wollten Christen keineswegs Vergeltung üben. Polizei und paramilitärische Einheiten böten aber keinen ausreichenden Schutz. Christen befänden sich in ständiger Furcht. Militante

Hindus widersetzten sich beispielsweise der Ausgangssperre und verübten weitere Anschläge. In einem Dorf hätten sich Christen bereits selbst verteidigt; dabei habe es einen Toten gegeben.


Bombenanschläge in Flüchtlingslagern
Seit Ende August sind nach Angaben des Christenrates 59 Menschen in Orissa und zwei im Bundesstaat Uttarakhand getötet worden, darunter mindestens sieben Geistliche. Allein in Orissa wurden laut Parichha rund 300 Kirchen sowie 6.000 Häuser von Christen in 300 Dörfern angegriffen und zerstört. Etwa 50.000 Christen seien vertrieben worden; 24.000 von ihnen hielten sich in 14 Notaufnahmelagern auf. Auch dort habe es bereits drei Bombenanschläge gegeben.

Hindus brechen Anti-Bekehrungsgesetz
Mit Gewalt versuchten Hindu-Extremisten Christen zum Hinduismus zu bekehren; dies sei aufgrund eines Anti-Bekehrungsgesetzes verboten. Gleichwohl habe die Regierung die Polizei angewiesen, sich aus Rücksicht auf Hindus zurückzuhalten. Der Christenrat fordere unter anderem, den Bundesstaat Orissa aufgrund einer Notverordnung, der sogenannten President’s Rule, direkt der Herrschaft des Staatspräsidenten zu unterstellen. Von den 37 Millionen Einwohnern Orissas sind etwa drei Prozent Christen. Indien hat insgesamt rund 1,1 Milliarden Bürger. Von ihnen sind 82 Prozent Hindus, zwölf Prozent Muslime und ebenfalls drei Prozent Christen.

Hindus beschuldigen Christen des Mordes
Die Unruhen in Orissa waren nach der Ermordung des extremistischen Hindu-Führers und Christengegners Swami Laxmanananda Saraswati am 23. August ausgebrochen und haben inzwischen auf andere Bundesstaaten übergegriffen, etwa nach Karnataka, Kerala, Madhya Pradesh, Uttarakhand und Chhattisgarh. Zu der Ermordung Saraswatis hat sich die verbotene „Kommunistische Partei Indiens – Maoisten“ bekannt. Hindu-Extremisten machen trotzdem weiterhin Christen für den Mord verantwortlich. Saraswati, lokaler Anführer der radikalen Hindu-Bewegung Vishwa Hindu Parishad (VHP), war laut Parichha seit 40 Jahren Drahtzieher von Übergriffen auf Christen.

Deutschland soll Druck auf Indien ausüben
Parichha rief die Christen weltweit auf, für ein Eingreifen Gottes zu beten. Auch sollte die deutsche Bundesregierung Druck auf die indische Regierung ausüben, um Religionsfreiheit und Menschenrechte zu sichern. Die Christen in Indien suchten den Dialog mit der Regierung, den Parteien, Menschenrechtsgruppen und hinduistischen Stammesführern. Die Vertriebenen brauchten neben humanitärer Hilfe wie Kleidung, Nahrung und Medikamenten auch seelsorgerliche Betreuung. Ihre Zukunft sei völlig unsicher. Nach Angriffen hinduistischer Extremisten über die Weihnachtszeit 2007 hätten sie ihre Häuser soeben wieder aufgebaut, als sie die neue Gewaltwelle überrollte. Sie fragten sich, wie oft sie immer wieder von vorne anfangen könnten und ob sie weiter weglaufen oder sich verteidigen sollten. Parichha ist Gründer und Leiter der Indischen Evangelistenvereinigung und Partner der deutsch-schweizerischen Inter-Mission (Hannover/Liestal).

Christen als Bürger zweiter Klasse?
Die Ursachen für die Gewaltwelle sieht er in der Furcht hinduistischer Extremisten, dass sich immer mehr arme Hindus dem Christentum zuwenden und sie selbst an Einfluss verlieren könnten. Außerdem spielten die Wahlen auf nationaler Ebene und in Orissa im kommenden Jahr eine Rolle. In Orissa ist die national-hinduistische Bharatiya Janata Partei (BJP) an der Regierung beteiligt. Für Extremisten sei die Zugehörigkeit zum Hinduismus eine Frage nationaler Identität, so Parichha. Christen gerieten in Gefahr, zu Bürgern zweiter Klasse zu werden. Das verstoße gegen die Verfassung. Laut Parichha ist es falsch, den Hinduismus als eine durchweg friedliche Religion anzusehen. Er erinnerte daran, dass Mahatma Gandhi (1869-1948) von einem Hindu-Nationalisten ermordet wurde.

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