Christean Wagner, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Hessischen Landtag (Foto: Heibel) |
"Was uns leitet Eckpfeiler einer bürgerlichen Kultur" lautet der Titel einer Veranstaltungsreihe, die der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Hessischen Landtag, Christean Wagner, ins Leben gerufen hat und damit die aktuelle Wertedebatte auch in 2007 konsequent weiter führen will. Den Auftakt machte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Professor Hans Joachim Meyer, der in einem Vortrag im Landtag in Wiesbaden der Frage nachging, wie christlich eigentlich das Abendland ist.
"Die Rede vom christlichen Abendland geht uns leicht von der Zunge. Dabei ist Gott sehr an den Rand gedrängt in unserer Gesellschaft", zitierte Christean Wagner bei der Begrüßung der mehr als 250 Gäste Papst Benedikt XVI. Und als Beispiel für den Umgang mit Christentum und Gott in unserem Land führte Wagner folgende Begebenheit an: Als die hessische Landesvertretung in Berlin auf einer Banderole "Gesegnetes Weihnachtsfest" wünschen wollte, habe ein dienstbeflissener Mitarbeiter gar darauf hingewiesen, dass der "eindeutige Bezug auf ein christliches Fest, verbunden mit einem Segenswunsch, die staatliche Neutralitätspflicht verletze".
Dabei ist doch das "Abendland" eindeutig christlich, oder etwa nicht? Beantworten sollte diese Frage der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und frühere Sächsische Staatsminister, Prof. Dr. Hans Joachim Meyer. Und er blieb eine Antwort nicht schuldig.
"Der christliche Glaube hat einen gewichtigen Anteil daran, dass in Europa Gerechtigkeit und Solidarität handlungsleitende Ideale der freiheitlichen Gesellschaft sind und mitmenschliche Verantwortung nicht auf den privaten Bereich beschränkt bleibt", so der katholische Laienrepräsentant. Zwar sei Europa kein "Christenklub", aber "die Christen können nicht akzeptieren, dass ihr Glaube in die Privatsphäre abgedrängt wird oder allenfalls als folkloristische Verzierung dient. Vielmehr entspricht es dem dynamischen Charakter der europäischen Identität, dass die Beziehung des Glaubens zur Vernunft und zur Freiheit weiterhin auf der europäischen Agenda steht", so Meyer. "Es gibt keine Freiheit ohne Religionsfreiheit. Und wahre Religionsfreiheit gilt gleichermaßen für den persönlichen wie für den öffentlichen Bereich, für den Einzelnen wie für seine religiöse Gemeinschaft."
Freiheit ist mit christlichem Glauben verbunden
Dabei sei eben jene Freiheit unmittelbar mit dem Christentum verbunden, Freiheit ohne Glauben führe in eine "verpflichtungslose Selbstverwirklichung" und "unvermeidliche Enttäuschung". Aus diesem Grund sei seit einiger Zeit ein neu erwachendes Interesse an Religion zu beobachten. "Ohne Anspruch auf Repräsentativität nenne ich einen Anstieg der Kircheneintritte und einen Rückgang der Kirchenaustritte, wobei letztere immer noch überwiegen, eine Zunahme von Gottesdienstbesuchern an hohen Feiertagen, die steigende Teilnahme junger Menschen an religiösen Ereignissen (übrigens nicht nur an Papstbegegnungen, sondern auch an Kirchen- und Katholikentagen), ihr größeres Interesse an Bindung und Familie (auch wenn die Scheu vor der Übernahme längerfristiger und belastbarer Verantwortung immer noch generationstypisch zu sein scheint), die hohe Achtung religiöser Persönlichkeiten und das weltweite Interesse an Höhepunkten kirchlichen Lebens über die Grenzen kirchlicher Zugehörigkeit hinaus sowie ganz allgemein die demoskopisch ermittelte gewachsene Bedeutung religiöser Themen und Ereignisse. Gewiss sind viele dieser Daten eher vage und schwer zu deuten. Und die Stabilität solcher Trends ist keineswegs sicher."
"Religion oft eine Selbstverständlichkeit"
Dennoch seien dies Zeichen der Zeit, die heute die Aufmerksamkeit von Christen erregen müssten. "Mittlerweile ist jedenfalls die Tatsache unübersehbar, dass Religion auch in Westeuropa wieder zum Thema wird. Der behauptete Zusammenhang von Modernität und Religionsschwund und die These von der unaufhaltsamen Säkularisierung verlieren an Akzeptanz. Auch in Westeuropa nehmen solche Auffassungen offenbar an Attraktivität und offensiver Kraft ab. Für den größeren Teil der Welt blieb Religion ohnehin immer eine Selbstverständlichkeit", so Meyer. Dies gelte insbesondere für die USA, in denen in den letzten Jahren die politische Bedeutung von Religion erheblich zugenommen, aber im Leben vieler Amerikaner Religion schon immer eine zentrale Rolle gespielt habe. Dennoch sei es für viele Europäer lange kein Gegensatz gewesen, einerseits die USA "als das klassische Beispiel der Moderne zu bewundern, andererseits Religion, genauer gesagt, ihr eigenes christliches Erbe für unmodern und überlebt zu halten". Die von vielen beobachtete "neue Aufmerksamkeit für Religiöses" sei für den christlichen Glauben eine große Chance der Zeit und damit eine große Herausforderung. "Denn Zeichen der Zeit kann man missdeuten und Chancen der Zeit kann man verspielen."
"Blasse Formel" im EU-Verfassungsentwurf
Auch aus diesem Grund bezeichnete Meyer den Versuch im derzeitigen europäischen Verfassungsentwurf mit der "blassen Formel" vom "kulturellen, religiösen, und humanistischen Erbe" als ein "Verstecken der Realität" und somit unserer christlichen Wurzeln. "Der mit Nachdruck betriebene Versuch, das freiheitliche Europa ausschließlich als laizistisches Europa zu definieren, entstellt die europäische Realität. Weder die Geschichte, noch die Gegenwart Europas sind zu beschreiben oder gar zu verstehen, ohne die geistigen Kräfte des Christentums. Erst durch die christliche Religion ist aus einer vagen geographischen Möglichkeit eine erkennbare und unterscheidbare geschichtliche und kulturelle Größe geworden. Und zu den Gemeinsamkeiten, die es möglich machen, dass aus Europa in unserer Zeit auch eine Größe wird, die gemeinsam entscheidet und handlungsfähig ist, zählt weiterhin das Christentum."
Die Forderung, bei den geschichtlichen Wurzeln Europas das Christentum konkret zu nennen, habe ihre Berechtigung in der Wirklichkeit. Und der Versuch im derzeitigen europäischen Verfassungsentwurf, mit der blassen Formel vom "kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe", von dem die Europäische Union inspiriert sei, diese Realität eher zu verstecken, als sich dazu zu bekennen, sei in Wahrheit ein "ideologisch motivierter Autismus".
Hans Joachim Meyer kommt zu dem Schluss: "Wie christlich ist Europa? Es gibt heute kein christliches Europa. Europa teilen die Christen mit vielen Menschen anderer Geistestraditionen. Aber eine der wesentlichen geistigen Quellen Europas ist der christliche Glaube. Wenn diese christliche Tradition nur noch eine Sache der Archäologie würde, wie das ja durchaus für bestimmte außereuropäische Regionen der alten Christenheit heute der Fall ist, dann hätten wir in der Tat in Europa eine andere Gesellschaft und eine andere Kultur", so der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.
Bei der Antwort auf die Frage "Wie christlich ist Europa?" hätten jedoch auch die Christen in Europa eine große Verantwortung. Ein christliches Europa jedenfalls könne "keine Verfassung garantieren, sondern das hängt allein von den Christen ab von ihrer Zahl und von ihrem Zeugnis. Noch sind die Chancen gut, dass das lebendige Europa auch in Zukunft nicht ohne das Christentum gedacht und definiert werden kann. Und vielleicht tun sich gerade neue Chancen auf. Aber die Zukunft finden wir nicht auf dem Weg in die Vergangenheit, auch nicht in eine Vergangenheit, die von sich sagt, sie sei modern."