"Religion gehört nicht ins
Hinterzimmer"
Von js, Christliches Medienmagazin pro, 08. Juni 2009
Seinsweisen in der Moderne. Es gibt keinen Automatismus, der in die Säkularität führt. Alles ist möglich."
Der Religionssoziologe
José Casanova, Leiter des
Programm des Berkley
Centers für Globalisierung,
Religion und Säkularismus:
"In einer partizipatorischen Zivilgesellschaft kann es kein Hinterzimmer fürs Religiöse
geben." (Foto: Berkley Center for Religion, Peace, & World Affairs)"Wir Europäer sind säkular geworden, weil wir dachten, dass modern zu sein zugleich bedeutet, säkular zu sein." Doch Religion und Modernität widersprechen sich nicht. Diese Meinung vertritt der Religionssoziologe José Casanova in der "Frankfurter Rundschau". Die Atheisten-Werbekampagne enthalte zudem ein Missverständnis, so der Wissenschaftler.
Casanova, der als Professor an der Georgetown University in Washington D.C. lehrt, hat in seinen Büchern wiederholt geschrieben, dass Europa "nachsäkular" werden müsse. Damit meine er nicht, dass die Leute zwangsläufig wieder religiös würden. In einem Interview mit der FR erklärte er: "Es geht vielmehr um ein reflexives Bewusstsein davon, dass die Frage, ob man religiös oder säkular ist, eine freiwillige Entscheidung ist. Wir Europäer sind säkular geworden, weil wir dachten, dass modern zu sein zugleich bedeutet, säkular zu sein. Ferner glaubten wir, dass die Religion mit Modernität allmählich verschwindet. Das ist aber nicht der Fall."
Der Begriff des Nachsäkularen bedeute, "dass man die Religion nicht dem Vormodernen zuschlägt und das Säkulare als einen Endzustand betrachtet". Casanova fügte hinzu: "Das Säkulare und das Religiöse beschreiben zwei mögliche
"Religiöser Diskurs muss in der Öffentlichkeit stattfinden"
Casanova hat stets das Modell der Privatisierung der Religion kritisiert und beklagt. "In Europa vollzog sich dieser Prozess in der Institution Kirche. Die Trennung von Kirche und Staat implizierte auch die Trennung von Religion und Politik. Wenn man aber die Öffentlichkeit im Sinne von Habermas als einen Ort des Diskurses versteht, in dem um die normativen Positionen gerungen werden muss, dann sehe ich nicht, dass ein religiöser Diskurs aus der Öffentlichkeit herausgehalten werden kann."
Der Wissenschaftler leitet das Programm des Berkley Centers für Globalisierung, Religion und Säkularismus. Casanova gilt als einer der führenden Religionssoziologen weltweit. Sein Buch "Public Religions in the Modern World" wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Im Verlag Berlin University Press erschien soeben "Europas Angst vor der Religion". Am Wochenende nahm er an der Konferenz der Heinrich Böll-Stiftung teil, bei der unter dem Titel "Religion Revisited" über Frauenrechte und die politische Instrumentalisierung von Religion debattiert wurde.
Kein Hinterzimmer fürs Religiöse
Die FR-Reporter sprachen Casanova auf die Busse mit atheistischer Werbeaufschrift an. Im englischen Original stand auf den Bussen die Botschaft: "Es gibt wahrscheinlich keinen Gott. Also hören Sie auf, sich Sorgen zu machen und genießen Sie Ihr Leben." Die deutschen Nachahmer verzichteten auf den zweiten Satz. Casanova sagt: "Bemerkenswert ist die implizite Aufforderung: Du sollst Dich vergnügen. Dabei wird angenommen, dass es sich bei Religion immer um eine asketische Veranstaltung handelt. Weil Religion als eine Art der Selbstverleugnung angesehen wird, sollen wir besser ohne Gott auskommen. Das widerspricht aber der Vielfalt der religiösen Erfahrung. Religion ist vielmehr eine Möglichkeit, menschlich zu sein."
Auf die Frage "Verliert ein Glaube, der öffentlich legitimiert werden muss, nicht an seiner ursprünglichen Kraft und Bedeutung?", antwortete der Religionssoziologe: "Es geht nicht um die Legitimation des Glaubens oder des Nichtglaubens. In einer partizipatorischen Zivilgesellschaft kann es kein Hinterzimmer fürs Religiöse geben."
In Europa spreche man von der Aufklärung immer im Singular. "Aber ich bestreite, dass es die eine Aufklärung gegeben hat. Die französische Aufklärung unterscheidet sich von der deutschen und diese sieht anders aus als die britische oder die amerikanische." Die amerikanische Aufklärung etwa sei nie gegen die Religion aufgetreten, "sondern war von ihr von Beginn an durchdrungen". Sie sei geprägt gewesen von zwei Grundsätzen: "unbedingte Gleichheit und freie Ausübung von Religion". "Während es in der Demokratie sehr wohl Ungleichheit geben kann, gibt es ohne Religionsfreiheit keine Demokratie. Das heißt aber nicht, dass es notwendig einer Trennung von Kirche und Staat bedarf."
Das vollständige Interview in der "Frankfurter Rundschau" finden Sie hier. (PRO)